Triumph des Geistes

•26. März 2013 • Kommentar verfassen

Es schmerzt der Moment der Erkenntnis der Dir offenbart, dass Du verloren hast. Ich bin wahrlich eine schlechte Gewinnerin.

Ich weiß, dass ich nichts weiß

•28. Dezember 2012 • 1 Kommentar

Als ich gerade Miley Cyrus im Fernsehen sah ist mir aufgefallen, dass ich gar nichts über sie weiß. Sie ist ein weißes Blatt mit einem Gesicht. Doch die Dahlien auf dem Fensterbrett blühen so schön. Und das, obwohl die Nächte lang und die Tage kurz sind. Das Jahr 2013 wird gut. Das Glück kehrt zurück zu seinem Anfang.

Mathematik

•19. November 2011 • 1 Kommentar

S6chs
N9un
N9unds6chzig

Alles nur zu zahlen.

Schwanensee

•15. November 2011 • Kommentar verfassen

Es ist die Angst, die mich frisst – der tief in den verrosteten Enterhaken meiner Seele eingerastete Schrecken, der mich Nachts aus dem mit Schweiß getränkten Bett aufschrecken lässt: Diese Angst, diese unbändige Angst, tanzt mit den federleichten Schritten einer blassen Ballerina über das stumpfe Parkett meiner Träume. Sie dreht sich unentwegt um die eigene Achse, den rechten Arm empor gestreckt, die feingliedrige Hand angewinkelt und auf den Kopf gerichtet – eine ganz und gar unnatürliche Körperhaltung bei genaueren Betrachtung, doch gerade dies, jene Körperhaltung, jene Verkrüppelung ihrer selbst, verbunden mit dem irrlichternden Anmut einer zerbrechlichen Elfe, zieht mich beim Blick durch das graue Milchglas unentwegt in den Bann. Ich kann mich ihrer nicht erwehren – ich muss ihr einfach zusehen, der Angst, wie sie ihre Pirouetten dreht und Fouettén peitscht und sich dem Takt der blechernen Trommeln aus dem fernen Wiederhall der Lautsprecher hingibt.

Doch ist die Angst nicht auch nur ein Moment, ein Augenblick der Vergänglichkeit, die sich um ihrer selbst willen am Leben erhält? Trittst Du nämlich hinter dem Milchglas hervor und blickst in die pechschwarzen Augen dieses tanzenden Derwisch und zögerst Du nun, Deinem Zögern zu vertrauen und setzt wieder einen Fuß vor den anderen und spürst die Eiseskälte der Angst, die sie versprüht, um Dir zu entgehen, dann wirst Du sehen wie sie schrumpft, diese Ballerina, wie die Angst ihren Schrecken verliert, wie sie kleiner wird und langsamer, wie sie erstarrt in ihrer Armseligkeit und jede Energie verliert, die sie auf den Zehen hält, wie die Angst vor Dir kapituliert, wenn Du Dich über sie beugst und das in sich kauernde Häufchen Elend in Deine Hand nimmst und es triumphierend von allen Seiten musterst.

Und dann schaut sie Dir verstohlen in die Augen und plötzlich siehst den Abgrund vor Dir! Die Angst, ja DIE Angst, mag ein Däumling sein, doch am Ende bleibt sie treu an Deiner Seite ergeben. Erschrocken lässt Du Sie aus Deiner Hand fallen und ehe Du Dich versiehst und Dich nach Deiner Angst bückst, bläst Dir auch schon der der eisige Zug des Schwanensees ins Gesicht. Nun dreht sie sich wieder, die Ballerina, schneller und schneller, rotiert wie Brummkreisel ohne Farben und jedes Geräusch. In ihrer Gravitation schluckt sie alles, was einst Deins war, Deine Erinnerungen und Deinen Antrieb, Deine Kreativität und Deine Last, sie saugt einfach alles in sich rein, was sich ihrer nicht erwehren kann.

Wenn Du Deine Augen wieder öffnest, wenn der Sturm vorbei ist, wenn Du Dich leer fühlst, weil Du leer bist, wenn Du Deine Lieder hebst, befreit von tonnenschweren Blei Deines schweren Gewissens, dann steht sie wieder da, diese blasse Ballerina und schlägt federnd ihr Battement. Erleichtert atmest Du auf, Du hast der Angst ein Schnippchen geschlagen. Sie vermag Dich in ihren Bann zu ziehen, sie vermag Deine Träume zu fressen, doch sie wird es nicht wagen Dich zu  verschlingen. Denn dann wäre die Angst ohne Macht, dann wäre die Angst tot.

Was bleibt, ist das Wippen des Fußes zu den Klängen von José Sabía. Der Blick neigt sich zu Boden. Die neunte kaki-braune Fließe in der sechsten Reihe von links hat einen Sprung. Sie müsste mal getauscht werden.

sich zeigen

•14. November 2011 • 4 Kommentare

Du wolltest meine Asche
Zu einem Diamanten pressen.
Warst im Glauben,
Ich öffne Dir das Tor zum Paradies.

So töricht,

Es sei Dir vergessen und verziehen,
Bevor mein Blut in Deinen Adern erstarrt.
Wer muss denn das Tempo halten,
Um Dich zufrieden zu stellen?

Alltag

•2. September 2010 • 7 Kommentare

Eine kühle Windböe sammelt sich in der Häuserschlucht und durchweht meine Haare. Schweigend stehe ich vor der Glastür und senke meinen Kopf. Meine rechte Hand verschwindet unauffällig in der Schultertasche und tastet vorsichtig nach dem großen Schlüsselbund. Unsichtbar schleicht ein älterer Herr mit hochgeklappten Kragen am Haus vorbei. In meinem Rücken quietschen die Bremsen eines Busses, der zentimetergenau am weißen Bordstein der hell erleuchteten Haltestelle hält und sich seiner schweigenden Fracht entledigt. Ein graues Duzend Menschenleiber verläuft sich in den Gassen und grüßt sich nicht. Der Morgen ist nur in Erzählungen poetisch.

Leise klackt das Schloss und nach einer weiteren Umdrehung des Schlüssels ist der Bolzen in der Schließe verschwunden. Mit kräftigen Druck schiebe ich die Tür auf und trete in das Café ein. Schnell verschließe ich wieder den Eingang und lasse einen Augenblick lang den dunklen Raum mit seinen sechs Tischen aus Pinienholz auf mich wirken. Der Duft von gemahlenen Kaffee steigt in meine Nase und verbindet vor meinem Auge mit dem Geruch frischen Backwerks zu einem harmonischen Gemälde aus Zucker, Blätterteig und Bohnen. Mein Blick folgt dem Laternenschein, der durch das Fenster zur Nordseite in den Raum fällt und ihn diagonal durchschneidet. Die Glasmenagen brechen das orangene Licht und funkeln wie kleine Sterne. Unweigerlich bahnt sich ein Lächeln auf mein Gesicht.

Langsam bewege ich mich auf den Tresen zu lege meine Tasche ab. Der Schlüsselbund klimpert, als der Shopper zu Boden fällt. Mein rechter Zeigefinger drückt die Hebel der Sicherungen hoch. Unverzüglich tönt das flüsternde Summen der geschlossenen Stromkreise aus dem Kasten. Sekunden später piepst bereits die Registerkasse und blinkt mir mit seiner blauen LED über den Tastenfeld ein fröhliches „Guten Morgen“ entgegen. Am Eingang schaut ein junges Gesicht neugierig in den Raum, doch ich gebe ihn ein Zeichen, dass er sich noch eine Dreiviertelstunde gedulden muss, bis ich ihm Einlass gewähre. Enttäuscht wendet sich der Junge ab. Sein Frühstück liegt heute an einer anderen Stelle seines Schulwegs.

Blind bedient die rechte Hand die Knöpfe der CD-Anlage – Power, CD-Player, vier Mal Vorwärtstaste – während die sich die linke nach einer Espresso-Tasse im Wandregal streckt. Der Kaffeeautomat wird nun auch seinem verdienten Schlaf geweckt. Er könnte mir fast leidtun, da nun wieder ein anstrengender 10-Stunden-Tag auf ihn und seine Mühle wartet. Doch wie an allen Tagen reibt er sich nur rumpelnd den Sand aus den Augen und bereitet klaglos den ersten Kaffee des Tages zu. Mein rechter Zeigefinger drückt die Taste „Play“. Tief ziehe ich den verlockenden Duft des schwarzen Goldes in meine Nase und spüre, wie der warme Dampf meinen Rachen herunter gleitet.

„Non! Rien de rien … Non ! Je ne regrette rien“, singt mir Édith Piaf ein Morgenständchen und in diesem Moment bereue ich nichts. In fünfzehn Minuten klopft es an der Tür und die frischen Backwaren werden in einem großen, roten Plastikkorb in den Laden getragen. Wie immer wird Sabine fünf Minuten später auftauchen und mit ihrem Handy am Ohr das Café zum Leben wecken. Routiniert und schnell verschwinden die Brötchen, der Kuchen und das Gebäck in der Auslage, ein Rundgang noch und dann öffnen sich die Türen für alle Gäste, die das Auge im Sturm des Alltags suchen.

Non! Rien de rien. Je repars à zéro.

Flecken im Tagebuch

•29. August 2010 • 6 Kommentare

Langsam tropfen die Worte aus dem Speichel meines Geistes auf das Papier. Benommen schaue ich auf das karierte Blatt und bewundere den noch feuchten Fleck, der sich vor meinen Blicken scheut und um sein Leben zu tanzen scheint. Er bewegt sich erst langsam, dann immer schneller zum Takt meines Herzschlags. Immer schneller, immer ekstatischer flitzt er über den Bogen, mit jeder Bewegung verliert er an Masse und hinterlässt Kondensstreifen aus Lettern. Meine Augen folgen seinem Lauf, er versucht sich zu verstecken, sich zu verleugnen, er erwehrt sich meiner Augen, dem einnehmenden Blick einer Scharfrichtern des Wortes.

„Bitte laß‘ mich in Ruhe mein Werk vollenden“, scheint der Fleck zu schreien, der ohne Atmen auf die nächste Seite rutscht. „Du verlangst unmenschliches von mir! Ich bin nur ein Geistesblitz ohne Anspruch auf Vollendung, doch wer sich meiner annimmt, kann das Ende des Tunnels sehen. Fürwahr, ich vermag mit Macht Dein Leben zu sprengen, es aufzurütteln, es unter den Trümmern Deiner Weltordnung zu verscharren. Doch es ist kein Grund, mich zu jagen, wie ein schwaches, altes Tier. Denke immerdar, wessen Ursprung ich entflohen bin. Du hast mich geboren, in einer Stunde des Zweifels, der Ruhe oder des Glücks sogar. Ich wäre nicht ohne Dich und doch bin ich kein Kind Deines Anspruchs auf die Wahrhaftigkeit. Folgst Du meinen Schritten und bewahrst meine Lettern, so führe ich Dich in eine Welt, die Dir fremd zu sein scheint. Vertraust Du meinen Worten und beschützt seine Seele, so erkennst Du eine Welt, die Dir nahe zu sein scheint. Ich bin alles, wonach Du Dich sehnst, auch wenn es das Andere in Dir erweckt.“

Leise klappe ich das Buch zusammen und schaue verträumt aus dem Fenster. Über den Horizont kleben graue Wolken aus winzigen Wasserelementen, die sich zu einem Schauer über dem Weizenfeld sammeln. Ein kleiner Regentropfen kämpft an der Fensterscheibe gegen den peitschenden Fahrwind des Zuges an und kann sich dem Macht nicht erwehren. Nach wenigen Augenblicken lässt er los und fliegt verloren auf den Schotter der Schienen. Derweil sitzt mir ein Mann mit riesigen Ohren gegenüber und starrt mich an. Er mustert meine Beine, die im weich im Schein der Deckenbeleuchtung wippen. „Entschuldigen Sie“, erhebt er seine Stimme, „Wollen Sie mit mir schlafen?“. Sein zerfurchtes Gesicht läuft rot an. Ich lege meinen Kopf zur Seite und mustere seine nikotingelbe Lederhaut. „Wollen Sie mein Tagebuch lesen? Ich habe eben meinen letzten Eintrag fertig gestellt. Er ist noch ganz frisch, sozusagen jungfräulich. Die Tinte müsste noch feucht sein – ich hatte schon Angst, das Buch zuzuschlagen. Das gibt blaue Flecken auf den Seiten, verstehen Sie? Das sieht nicht gut aus, es verschandelt das Buch. Dabei ist es doch so wichtig, seine Gedanken zu pflegen, sie sauber zu halten. Wie können Sie dann in einem befleckten Buch ihre letzte Ruhestätte finden? Würden Sie das wollen? Ich glaube nicht, Sie sehen nicht aus wie ein Mann, der schmutzige Gedanken auf schmutziges Papier kritzelt. Deshalb, seien Sie bitte vorsichtig, wenn Sie das Buch lesen und verwischen Sie nichts.“

Ohne eines Wortes erhebt sich der Mann mit den großen Ohren und taumelt zitternd aus dem Abteil. Ich lächele in mich hinein. „Du hast also meine Botschaft verstanden“, wispert der Geist in meinem Herzen. Ich schließe die Augen und nicke. Ganz viele Regentropfen prasseln auf das Dach des ICE und sammeln sich zu vielgliedrigen Bächen, die sich am Fenster hinunterstürzen. Der Mann mit den großen Ohren schiebt mit seinen großen Füßen die Schiebetür des Abteils auf und trägt zwei dampfende Becher in seinen Händen. „Kaffee?“, fragt er? „Danke“, antworte ich und nehme ihm die Fracht ab.

Das Wunder

•23. August 2010 • 11 Kommentare

Stolz streckst Du Deine verwitterten Ziegel in die Höhe und trägst die ganze Last der Geschichte auf dem schwachen Gerippe Deines alten Dachstuhls. Du atmest den Geist eines aufkeimenden Wunders, trägst die Utopie der frühen Republik in Dir. Mit wachen Auge sahst Reiter mit Säbeln durch die Straßen ziehen, Du wurdest feierlich geschmückt für des Kaisers Kleider und verbrannt unter den Wirren der Revolution. Wiedereröffnet und besiegt durch Deine Befreier, missbraucht und geschändet durch braune Herden, blicktest Du dem verheerenden Feuersturm der alles fressenden Bombennächte in das lodernde Auge.

Voller Narben, schwach und gebrechlich, richteten Dich schmutzige Frauenhände wieder auf. Breite, schwarze Adern aus Teer und Asphalt durchzogen schon bald die Neue Stadt. Auf ihren Gassen vollzog sich das graue Wunder der leeren Gesichter, eine bleiche Symphonie mit den Klingeln der Registrierkassen, dem Quietschen der Straßenbahn und dem unerlässlichen Brummen der Käfer und Enten. Das Wunder, oh Wunder, blieb in diesem Eintopf liegen und fraß sich einen dicken Bauch. Schon bald war der Saum der Innenstadt zu eng für seine Hüfen und der Konsum platze in die Vorstädte.

Vom grauen Wunder verlassen, zogen seine bunt gewandten Kinder in Deine verlassenen Räume. Sie rissen die Bretter von Deiner Fassade und ließen sich verträumt auf Deinen kahlen Boden nieder. Sie sangen fröhliche Lieder vom Heil einer fröhlichen Welt und fühlten nicht den giftigen Stachel des Lebens in ihrem Fleisch sitzen. Fürwahr, niemand zählt die Illusionen, die in Deinem Heim zugrunde gingen, niemand weiß um die jungen Seelen, die zwischen Deinen blanken Wänden ihren Glauben verloren. Mit dem Gestank des Siechtums kamen die Insekten und mit den Insekten kam die Polizei.

Sieh an, das Wunder, verzehrt von seinen vielen Krisen und Diäten, erinnerte sich Deiner wieder. Erneut sammelten sich Hundertschaften zu Deinem Fuße, um sich Deiner Hab zu werden. Erbarmungslos zogen sie die vermummten Bengel aus Deinem Herzen, schlugen mit Knüppeln auf sie ein, schonungslos wurdest Du entkernt, ausgenommen und ausgeschart, Deiner Geschichte beraubt und an den Tropf gehängt.

Du öffnest Deine Augen und bewunderst Deine neuen Kleider. Im zarten Biedermeier-Rock strahlst im matten Gelb auf die Straße herab. Aus Deinem Innern entweicht der köstliche Duft frischgemahlener Kaffeebohnen und das Murmeln der Enkel ist nur im Inhalt leer. Vorsichtig strecke ich meine Hand aus und berühre Deine Wand. Ich weiß, dass Du Dich an mich erinnerst. Steine vergessen nie.

Ich gehe einen Schritt zurück und schaue durch Deine Fenster. Eine junge Frau sitzt vor ihren Geranien und liest ein Buch. Ich möchte zu ihr gehen und mit ihr sprechen, doch ich kann nicht. Ich bin jetzt ein Teil Deiner Geschichte. Die Arbeit ruft, um das Wunder zu erwecken.

Alles

•12. Juni 2010 • 5 Kommentare

Stell‘ Dir vor, Du wärst wieder allein unter Leuten.
Denkst traurige Lieder,
vom Sein und Bedeuten,
vom schreien und sich häuten,
vom wollen und nicht kriegen,
von Kriegen und Frieden,
vom niemals zufrieden sein.

Und plötzlich ein Schlag und Du kriechst auf allen Vieren.
Und Deine Stimme in meinem Ohr sagt: „Du sollst nicht lamentieren!“
Sie sagte: „Schluss mit den Faxen und Schluss mit den Geigen“,
mit einem Tritt in die Haxen und einem Kuss, der zum Weinen wär‘ hielt er Dich fest.
Und auch wenn Du Dich wehrtest, wenn Du Dir nicht glauben kannst, dass Du es wert bist. Alles ist alles, ist alles!

Dir ist alles erlaubt und alles gegeben und alles geglaubt und alles vergeben und alles wär‘ drin und alles daneben. Es wär‘ alles vertan und alles vergebens und…

Du?

Stell‘ Dir vor, dass Erlösung nicht nur für Religiöse wär‘.
Rigorose Engel kämen, die richtig böse wären.
Wenn Du sonst keinem glaubst, würdest Du glauben?
Wenn sie sagten: „Schau her, wir ziehen Deine Schrauben!“
Wenn sie sagten: „Geh, nimm hier Deine Krücken!“
Sag, würdest Du tanzen oder Dich danach bücken?
Weißt Du, alles ist alles, ist alles!

Dir wär‘ alles erlaubt und alles gegeben und alles geglaubt und alles vergeben und alles wär‘ drin und alles daneben. Es wär‘ alles getan und alles vergebens. Es wär‘ alles, es wär‘ alles. Alles, wer alles?

Alles! Wer alles wär‘, alles wär‘! Alles, wer? Alles wär‘ alles, wer alles wär‘!

Alles! Wer? Du!

Judith Holofernes

Der Wunsch

•24. März 2010 • 30 Kommentare

Es heißt, es gebe nicht ehrlicheres als das Lächeln eines Kindes. Wenn ein junger Mensch, kaum höher als Deine Beine, neugierig zu Dir aufblickt, seinen Kopf neck in den Nacken legt und den Blickkontakt mit Dir sucht, dann ist das Glück nur einen Wimpernschlag von einem winzigen Zucken des Mundwinkels entfernt.

Ich bin als Einzelkind aufgewachsen und wollte mich nie damit abfinden, ohne Geschwister durch das Leben zu gehen. Als Dreikäsehoch schrieb ich kleine Wunschzettel an den Nikolaus und bat ihn darum, mir doch bitte eine kleine Schwester unter den Weihnachtsbaum zu legen. Später wurde ich subtiler und bot meinen Eltern an, als Gegenleistung für einen Bruder fortan jeden Tag, und für alle Ewigkeiten, den Abwasch zu erledigen und die Wäsche zu bügeln – ein ambitioniertes Vorhaben für eine achtjährige.

Als sich wenig später die sexuelle Aufklärung bis zu mir durchsprach und sich Gerüchte über die Existenz einer „Anti Baby-Pille“ erhärten sollten, ließ ich sämtliche Tabletten und Dragees im Umkreis von 150 Metern um das Schlafzimmer meiner Eltern herum verschwinden. Unverständlicherweise ärgerte sich mein Vater sehr über meine brillante Idee, als wenige Tage später seine Thomapyrin zusammen mit Mutters Blutdrucktabletten unter meinem Bett auftauchten. Ehe ich mich versah, stand ich auch schon in der Praxis eines Kinderpsychologen und durfte auf einer Ledercouch Trampolin springen. Bis heute glauben meine Eltern, ich hätte vorgehabt, alle konfiszierten Medikamente herunter zu schlucken, um Aufmerksamkeit zu erregen. Das kommt davon, wenn mädchen nach Aufforderung des Therapeuten ein Tier malt und sich für ein Krokodil entscheidet, das gerade ein Gnu zu Mittag verspeist. Vielleicht hätte ich damals nicht so viele Dokumentationen über das Leben wilder Tiere in der Savanne schauen sollen, doch das ist ein anderes Thema ^^.

Einen letzten Angriff auf die Nachwuchspläne meiner Erzeuger startete ich im Alter von 12 Jahren, als mir bewusst wurde, dass die biologische Uhr unerbittlich tickt und die Zeit für ein Baby langsam knapp wird. Nach den mehr oder weniger erfolgreichen Manövern der Vergangenheit ging ich diesmal wissenschaftlich vor und setzte mich wochenlang in die städtische Bücherei, um dicke Schinken über Schwangerschaft und Geburt zu wälzen. Schon bald wusste ich alles über Erziehung und Pflege eines Kleinkinds, ich kannte zwölf verschiedene Arten, einen kleinen Erdenbürger zu wickeln und zitierte aus dem Effeff, welche frühkindlichen Reize gesetzt werden müssen, damit sich alle fünf Sinne prächtig entwickeln. Schon bald galt ich den Räumen der Stadteilbibliothek als geheimes Maskottchen, das einen eigenen Tisch bekam und mit dem Bibliothekarinnen per Du war – ein unglaublich erhabenes Gefühl für eine Sechstklässlerin und Leseratte wie mich.

Mit einem imposanten Dossier an Fakten, Statistiken und Argumenten pro Kind schloss ich meine Arbeit ab. Ich hatte eine 74-Seitige (!) Mappe aus Fotokopien, handschriftlichen Notizen und Zitate berühmter Mütter (unter ihnen auch eine gewisse „Magda Goebbels“) zusammengestellt und meiner Mama zu ihrem Geburtstag überreicht.

Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen.

Noch heute erinnere ich mich an den furchtbaren Streit, der anschließend zwischen meinen Eltern entbrannte. Dabei ging es nicht um die Frage, ob noch ein zweites Kind zur Familie stoßen könnte, sondern warum um alles in der Welt die trotzige Annabell ihre Eltern mit dem Geschwisterwunsch seit Jahren terrorisiere. Meine ehrliche wie simple Antwort, ich wolle einfach nicht alleine sein, leuchtete meiner Mutter nicht ein. Stattdessen wurde jede Annäherung an das andere Geschlecht über Jahre hinweg misstrauisch beäugt. Stundenlange Vorträge über Schwangerschaften minderjähriger Frauen hallen heute noch in meinen Ohren nach. Als hätte ich mich nicht selbst in der Bibliothek darüber schlau gemacht.

Heute Mittag überreichte mir ein kleiner Mann ein selbst gemaltes Porträt, nachdem er – ganz in seine Zeichnung vertieft – immer wieder zu mir rüberblickte, während sich seine Mama bei herrlichen Sonnenschein ein Stück Kuchen auf der Zunge zergehen ließ. Lukas erklärte mir, auf dem Bild seien ich, ein Hund namens Bobby und ein lila Baum zu sehen, der unter der Sonne so schön glänzt. Seiner Mutter war das Geschenk sichtbar peinlich, doch ich konnte ihre Scham besänftigen. Ich erzählte ihr von dem blauen Hasen und den Kastanienbaum, von meinen Teddy Herrn Nowotny und den Tagen im „Kinderland“, während ich alleine im Kinderzimmer spielte. Ihre Augen blitzen. Scheinbar hatte ich ein weiteres Einzelkind entdeckt.